2014 - Wandre Expo in Cavriago
Mai 2014 - Wandré-Event in Cavriago
Von Marco Ballestri kam die Meldung, dass im Mai in Cavriago eine große Wandré-Ausstellung stattfindet. Allerdings nicht in der ehemaligen Firma, sondern in einer stillgelegten Möbelfabrik unweit davon. Über 100 Gitarren, eine Besichtigung der ehemaligen Fabrik, Vorträge und Musikveranstaltungen warteten auf die Fans. Also ein höchst willkommener Anlass für eine Italienreise, die wir von Madrid aus mit dem Auto antraten.
Auch Heinz Rebellius, Trevor Wilkinson, Willy Davoli und viele mehr folgten diesem Wandré-Lockruf. Und es war beeindruckend: an allen Wänden, sogar auf den Hobelbänken und in Ständern gab es eine unglaubliche Kollektion dieser genialen Objekte zu bestaunen. Dazu diverse Kunstobjekte des Meisters, Antonio "Wandré" Pioli, der sich nach seiner Pleite Ende der 1960er Jahre ausschließlich der Kunst an sich widmete und sogar Mitglied im FLUXUS-Zirkel wurde.
Fluxus ist eine von George Maciunas begründete Kunstrichtung, bei der es nicht auf das Kunstwerk ankommt, sondern auf die schöpferische Idee. Nach dem Dadaismus war Fluxus der zweite elementare Angriff auf das Kunstwerk im herkömmlichen Sinn, welches negiert wurde und als bürgerlicher Fetisch galt.
Fluxus wurde von namhaften Avantgardekünstlern wesentlich geprägt, am bekanntesten davon waren John Cage, Rafael Alberti (aus Cádiz) und Joseph Beuys. Fluxus war gleichzeitig eine Form der Aktionskunst, eine Bewegung unter Künstlern gegen elitäre Hochkunst, und der Versuch, neue kollektive Lebensformen zu schaffen. Mehr im Wikipedia ...
Hier schon mal ein paar Leute ...
Das ansonsten unbedeutende Örtchen Cavriago liegt im Reggio Emilia zwischen Parma und Modena, hat einen ganz schnuckeligen Dorfplatz und eine gute Osteria, wo der Herr Pioli oft zu speisen pflegte. Reggio Emilia ist die Ursprungsprovinz der Kooperativen (wie auch der COOP-Supermärkte), politisch also sehr "links" ausgerichtet. Und auch Pioli war ein kommunistisch orientierter Mensch, der seinen Mitarbeitern sowohl beim Assembling als auch bei den Lackierungen viel Freiheit gelassen hat. Der hat seine Leute immer gut behandelt, und das auch mit der liebens- und lobenswerten Zielsetzung, dass sie sich in ihrer Arbeit wenigstens ein bisschen als "Künstler" fühlen konnten. Das sagt doch schon mal viel aus!
Als Erstes hat er diese runde Fabrik bauen lassen, wobei in der Mitte des Daches ein zylindrischer Regenablauf von bestimmt einem Meter Durchmesser angelegt und bepflanzt wurde. Ansonsten gab es innen kaum Wände, sodass die Beschäftigten kommunizieren und einander sehen konnten.
Hier die alte Fabrik, oder was davon übriggeblieben ist ...
Gianfranco Borghi
Der "alte" Lackierer Gianfranco Borghi war auch zugegen. Damals bei der Ausstellung 74 Jahre jung, ist er auch heute, sechs Jahre später, immer noch total fit. Und das nach all den Lackdämpfen, die er eingeatmet haben mag! Auf vielen Wandré-Gitarren sieht man diesen "Burst"-Effekt. Den erzielte Gianfranco, indem er die Bodies unter die Decke hängte, und dann mit dem Ruß einer brennenden Kerze darunter hergehend diesen „Marmorierungs-Burst“ erzeugte. Das ist echt einzigartig!
Exhibition
Und dann kamen sie alle, Fans, Sammler und viele ehemalige Mitarbeiter.
All diese teils auch verrückten Kreationen, die über die zehn Jahre des Bestehens der Firma entstanden. Immerhin wurden in diesen Jahren ca. fünfunddreißigtausend Instrumente produziert!
Mein "Favorite"-Modell, die WAID! Das ist eine derart andere, sehr weibliche Ästhetik. Siehe hier rechts unten meine schüchterne Adaption!
Und ein weiterer Favorite, das Modell "Scarabeo", als Insekt auch "Glückskäfer" oder "Pillendreher" genannt.
Und weitere Kreationen ...
Meine "Adaptionen" wollte Marco unbedingt dort haben.
Die erregten als Ovationen auch gutes Aufsehen, und neulig hat mir ein Franzose ganz schön gutes Geld für die grüne "Wandrella" geboten.Ansonsten, Vorträge und abendliche Musik ...
Und hier kommen wir zu Wandrés künstlerischem Schaffen ...
Da liegt er nun begraben auf dem wunderschönen Friedhof von Cavriago.
Ein Wandré-Vortrag
Hier noch ein Vortrag„Wandré und italienische Gitarren aus meiner Sicht", den ich an einem dieser Tage zum Besten gegeben habe:
Viel habe ich gar nicht zu erzählen. Steht ja alles in Marco's Ballestri’s Buch. Aber ich bin ein Wandré-Fan, und ein paar Kleinigkeiten möchte ich aus meiner Sicht hinzufügen. Also zuerst: Wir alle würden uns hier nicht zusammengefunden haben, wenn wir nicht auch dieselbe Hingabe an seine Kreationen gemein hätten. Und dazu gehört eine ganz wichtige Tatsache: Die Instrumente von Wandré klingen sehr gut und lassen sich auch gut bespielen - wenn man sie mal richtig eingestellt hat. Dabei wissen wir sicher auch alle, dass das Einstellen dieser Kreationen nicht ganz problemlos ist. Aber wenn letztlich die Technik funktioniert, kann man sich umso mehr an Pioli's Design erfreuen. Man spielt dann etwas, was super und individuell klingt und man befindet sich gleichermaßen spielend auf einem Kunstobjekt.
Gleich vorab: Einige Leute würden Wandré gerne generell als Aushängeschild für italienisches Gitarrendesign zelebrieren. Das ist aus meiner Sicht absolut falsch, denn Wandré ist einfach kein Synonym für „italienische" Gitarren. Meiner Meinung nach stehen dafür die italienischen Firmen EKO, Cruccianelli, Bartolini, Benelli, Galanti etc. All diese Gitarren, die im Süden in der Nähe von Recanati in Größenordnungen von Hundertausenden produziert wurden. Das war eine andere Baustelle.
Willy Davoli erzählte mir einmal, dass sein Vater von Pioli`s Ideen fasziniert war und mit dessen Hilfe seinen Markennamen Krundaal noch mehr aufwerten wollte. Und er war enthusiastisch genug, seine Ideen finanziell zu unterstützen. Schauen wir uns mal eine Bikini-Gitarre an! Um all ihre Bestandteile herzustellen, braucht man eine Menge wirklich teurer Werkzeuge und Formen. Allein dieses Pickguard-Gehäuse aus Metall für Tonabnehmer und Bedienelemente kostet ein Vermögen. Und diese Lautsprechereinheit mit der Metallgitterabdeckung und der ganze innere Aufbau des Verstärkers. Das alles muss mit teuren Formen aus Metall gepresst und gestanzt werden.
Bass-Saitenhalter: super genial! Das Material ist das gleiche D-Profil, das auch für die Hälse verwendet wird. Schräg auf Länge geschnitten, dann vier Löcher für die Ballends zum Einführen und vier Schlitze für die Saiten zum Passieren, und fertig ist der Saitenhalter. Und das sieht auch noch sehr ästhetisch aus!
Man beachte auch die geschlitzte Fensterkopfplatte des WAID Basses! Auf der Rückseite darunter ist ein rechteckiges Aluminiumblech angeschweißt, das in seinen vier Bohrungen die Mechaniken aufnimmt. Und der Headstock, der diese beiden leicht versetzten Aussparungen beinhaltet, aus denen die Saiten heraustreten: geniales Design! Auch der Volumenknopf, der links im Ende des Aluminium-D-Profils untergebracht ist – echt cool!
Nehmen wir zum Vergleich Recanti-Massenware vs. Wandé. Als Erstes die Tonabnehmer: So ziemlich alle Recanti“-Pickups waren ziemlicher Schrott. Dagegen sind z.B. die ersten von Wandré verwendeten Meazzi-Pickups ein Unterschied wie Tag und Nacht. Wenn man einen Meazzi-Pickup auseinandernimmt, stellt man fest, dass es sich praktisch um dieselbe Bauweise wie bei einem Gibson P-90 handelt. Die klingen einfach gut. Und was will man mehr?
Die Konstruktion des quasi durchgehenden Halses und die gleichzeitige Installation eines Tonabnehmers am Hals war nur möglich durch die ebenso geniale, besonders flache Konstruktion der alsbald verwendeten Davoli-Pickups. Der Spulenkörper mit Alnico-Magneten liegt in einem U-förmigen Bodenblech, welches das Magnetfeld sehr gut verstärkt. Dieses Blech hat außerdem auf beiden schmalen Seiten zwei kleine Noppen, die unter Druck in die Tonabnehmerkappe einschnappen. „The Italian is`a Fox!“, sagte mal mein Freund Pierro Terracina.
Das Tremolo: absolut einfach und genial … Zudem technisch perfekt. Das System der Lagerung in zwei Nadelspitzen ist die reibungsfreieste Methode! Übrigens gibt es noch ein weiteres italienisches Tremolo mit dem gleichen Lagerungssystem, das man auf einigen Zerosette-JG-Gitarren findet. Nicht exakt gleich, aber mal wieder italienisch ausgefuchst, wobei mal wieder die Zerosette-Pickups praktisch unbrauchbar sind. Ich habe das Tremolo nachgebaut und bei der Gelegenheit ein paar kleine Stellen an der Hebelbefestigung leicht geändert. Und für Wandré Gitarren, bei denen der Tremolohebel verloren gegangen ist, habe ich eine Lösung gefunden, dies zu reparieren und sogar einen besseren Hebel als das Original zu befestigen.
Wandré – oder wie soll ich sagen „Pioli" hatte mit dieser Recanati-Industrie nichts zu tun. Cavriago liegt in Norditalien. Und für mich ist das Faszinierendste an Wandré, dass dieser Mann an einem ganz anderen Ort ganz andere, eigene Wege gegangen ist. Und das in einer Zeit, in der man eben nicht unbedingt möglichen Vorbildern nacheiferte. Immer wenn ich mich mit Wandrés beschäftige, kommt es mir so vor, als habe jemand die E-Gitarre parallel auf einem anderen Planeten entwickelt. Das äußert sich in seinen Designs und Korpusformen wie auch in der Verwendung der Materialien Aluminium und Sperrholz und in dieser speziellen Eigenwilligkeit, mit der er Details komponierte.
Wie auch immer es dazu gekommen sein mag, dass er auf den Gedanken kam, Gitarren zu bauen, ich könnte mir vorstellen, dass sich Pioli als Motorradfahrer als Erstes gedacht hat: „Ein Motorrad ist doch eine stabile Konstruktion aus Metall. Warum dann nicht eine Gitarre hauptsächlich aus Metall konstruieren?“
Ich glaube ein Hauptelement seiner Ideen ist genau die Tatsache, dass er eben praktisch kein Holz verwendet hat. Holz arbeitet immer (Gegenteil der Beamten), splittert in seiner Faserstruktur, bricht und hält nur schlecht Gewindebohrungen. Aluminium hingegen hat keine wesentliche Struktur (bestenfalls in der Richtung, in der das Profilmaterial gezogen wird), trotzdem ist es sehr starr (starrer als Holz derselben Menge), man kann es schweißen, spanabhebend bearbeiten (sägen, fräsen), bohren, Gewinde hineinschneiden, es knicken, biegen und preisgünstig oberflächenbehandeln, d.h. polieren und eloxieren und heute sogar galvanisch veredeln, also vernickeln, verchromen oder vergolden.
Dazu kommt die gewisse Einfachheit! Die Gitarre muss einfach zu bedienen sein. Keine hundert Knöpfe und Schalter. Eine Gitarre hat eigentlich nur höchstens vier relevante Sounds, die man aus der Konstruktion und den Tonabnehmern herausholen kann, und die müssen eben „klack-klack" abrufbar sein.
Wandré hätte sich sicher auch nicht als „Gitarrenbauer" bezeichnet. Der war jemand (wie ich mich auch sehe) dessen Ziel durchaus serienreife Produkte waren (auch wenn über die Lackierung eine gewisse Individualität möglich war). Da aber Pioli neben Entwickler und Designer auch Künstler war, hat er weitsichtig seinen Mitarbeitern genügend Freiraum für eigene Ideen eingeräumt. Das betrifft verschiedene Farbeffekte bei der Lackierung der Instrumente, sowohl die Auswahl, welche Komponenten auf bestimmten Instrumenten montiert werden. So gab er seinen Angestellten gleichzeitig das Gefühl, selbst ein wenig Künstler zu sein. Design ist auch Kunst! Design heißt, dass man etwas mit einem optischen, visuellen Wert schafft, was über das Praktische hinaus geht.
Angefangen hat Pioli sicher mit dem zentralen Element all seiner Gitarren, nämlich mit dem anfangs meist bis zum Steg durchgehenden Aluminiumhals. Es geht ja auch die Kunde, dass Pioli sein D-Profil aus Quellen des Flugzeugbaus bezogen hat – eine besonders straffe Legierung. Auf das Profil hat er dann das recht dicke Griffbrett geschraubt. Alle Schrauben sitzen unterhalb der Griffbretteinlagen.
Konservativität der Klientel – etwas, über das ich mich seit vielen Jahren ärgere: Trotzdem steht es kaum außer Frage, dass die Verwendung von Aluminium die Verkaufserfolge gemindert hat. Musiker sind eben an Holz gewöhnt – schon von akustischen Saiteninstrumenten her. Jeder Wandré-Gitarren-Sammler wird mir beipflichten, dass heutzutage ein gut erhaltenes Model für unter € 2.000 kaum zu bekommen ist. Das ist aus meiner Sicht angemessen und entspricht durchaus dem Wert eines solchen Instrumentes.Hier nochmal das Buch von Marco Ballestri:
A tastefull man
https://www.youtube.com/watch?v=5EooxUCzV20
Und es hört nicht auf ...
Vintage Story
Oder: Kunst ist die Religion der Freiheit
Wandre Rock Oval - Von Heinz Rebellius
Definiert man den Begriff "Vintage" mit "Alt & Teuer", dann gibt es nur eine Handvoll Gitarren, die in die Phalanx der großen amerikanischen Hersteller einbrechen konnten. Und wenn, dann meist auch nur, weil bekannte Musiker sich ihrer bedient hatten. So gehört eine Framus Attila Zoller sicherlich dazu, ebenso wie der Höfner 510-Bass. Dass aber eine italienische Gitarre ganz oben auf den Listen der Gitarrensammler zu finden ist, ist mehr als interessant. Zumal diese Gitarre - eine Wandre Rock Oval - in der Vergangenheit nicht etwa als Musikinstrument, sondern als Design-Objekt angenehm in Erinnerung geblieben sind. Nicht umsonst hat das amerikanische Magazin Guitar Player die Wandre Rock Oval vor einigen Jahren als die "schrillste und schrägste Gitarre aller Zeiten" gekürt.
Geh aus dem Weg!
Antonio Pioli wurde am 6. Juni 1926 in Cavriago in der Region Reggio Emilia geboren, irgendwo auf dem Land zwischen Parma und Bologna. Von Kindesbeinen an hatte er in der Schreinerei seines Vaters Roberto mitgearbeitet. Der schien ein ungeduldiger Zeitgenosse gewesen zu sein, denn er forderte den kleinen Antonio andauernd auf, ihm nicht im Weg zu stehen. "Vai indietro!" wird im emilianischen Dialekt dieser Region zu "Va'ndre..." - und schon hatte Antonio seinen Spitznamen weg. Das beschauliche Leben der Piolis änderte sich abrupt durch den 2. Weltkrieg, in dem Cavriago in hohem Maß von Faschisten dominiert wurde. Gerade mal 14-jährig, schloss sich Antonio der Widerstandsbewegung an. Hier begann er erstmals, seine handwerklichen Fähigkeiten kreativ einzusetzen, in dem er aus Kuhhörnern spitze Gegenstände fertigte, die nachts auf die Straßen geworfen wurden, um die Reifen der Faschisten-Konvois zu zerstören. Nach dem Krieg arbeitete er lange Jahre als Maurer und Bauleiter, erst Ende der 50er Jahre begann er, sich mit Kunst und dem Bau von Gitarren zu beschäftigen.
Wandre, wie er sich schon lange selbst nannte, war einer der wenigen italienischen Gitarrenbauer dieser Zeit, die nicht aufgrund von Erbfolgen den Gitarrenbau erlernten. Er entschied sich aus freien Stücken, quasi aus einem reinen, künstlerischen Bedürfnis heraus, Gitarren neu zu erfinden, alte Konzepte in Frage zu stellen und neue zu erdenken. Seine Maxime "Kunst ist die Religion der Freiheit" zog sich fortan durch seine Arbeit, wie auch durch sein Leben. Wandre begann in den 50er Jahren seine Zusammenarbeit mit den bekanntesten Herstellern Italiens, insbesondere mit Athos Davoli, dessen große, trapezfürmige Tonabnehmer auf nahezu allen Wandre-Gitarren zu finden sind. Wandre hatte 1959 eine eigene Produktion in seinem Heimatort Cavriago aufgebaut - natürlich nicht in einer normalen Fabrikhalle, sondern in einem innovativen, modernen Gebäude, das die rundliche Form eines Donuts hatte und dessen Innenwand komplett aus Fenstern bestand, die auf einen üppigen Garten blickten, der von einer Regenwasser-Sammelanlage gewässert wurde.
Hier sind die ca. 35.000 Instrumente entstanden, die in den 50er und 60er Jahren in alle Welt exportiert wurden, die meisten davon interessanterweise in die Niederlande und nach Argentinien. Wandre baute sowohl unter seinem eigenen Namen, aber auch für die Eigenmarken seiner Vertriebe, weshalb die Verwirrung um seine Instrumente recht groß ist. Wandre-Gitarren sind z. B. unter den Labels Davoli (Italien), Framez (von Meazzi, Italien), Noble (USA), Orpheum (USA), Dallas (England) und anderen erschienen. Zur allgemeinen Verwirrung trug auch die Tatsache bei, dass das gleiche Modell bis zu fünf verschiedene Modellbezeichnungen gehabt haben konnte...
Rock Oval
Praktisch alle Gitarren aus Wandres Produktion zeichnen sich durch eine Vielfalt an Formen, Ausführungen, ungewöhnlichen elektrischen Features, ungewöhnlichen Materialien und innovativen Bauweisen aus. Die Produktion von Wandre hatte nur eine Konstante - dass es keine Konstante gab! Vielleicht bis auf eine: Die Hälse der Instrumente waren in der Regel eine Konstruktion aus einer Aluminium-Schiene mit einer Plastik oder Fiberglas-Rückseite. Die meisten seiner Gitarren waren Hollowbody-Typen, das Gros hatte Plastik- oder Sperrholz-Bodys, obwohl er auch mit Fiberglas experimentierte - wohl inspiriert von den Supro-Gitarren des amerikanischen Herstellers Valco.
Die Rock Oval, womöglich das Flaggschiff aus Wandres Labor, bringt alle Eigenschaften, die eine typische Wandre-Gitarre mitbringt, auf den Punkt! Nicht umsonst wurde diese Gitarre öfters den Reichen und Schönen der 60er und 70er Jahre bei Foto-Shootings in die Hand gedrückt. Ein gutes Beispiel liefert auch der französische Künstler Pascal Colrat, der bei seiner Interpretation des berühmten Gemäldes der Marianne von Eugáne Delacroix (1830), jener Symbolfigur der französischen Revolution, eben seiner Marianne eine Rock Oval in die schöne Hand drückte. So verrückt, wie diese Gitarre auf den ersten Blick aussieht, so deutlich ist sie jedoch in vielen ihrer Eigenschaften als typische Wandre zu identifizieren - mit Eigenschaften, die eben viele Wandres hatten. Z. B. gehörten diese wie geheimnisvolle Zeichen aussehenden Griffbretteinlagen zur Serienausstattung des Wandre-Programms. Das unsymmetrische Oval im dritten Bund trägt das Wandre-Logo, der fünfte Bund bringt ein afrikanisch anmutendes Bild eines Löwen (das Wahrzeichen von Cavriago), im siebten ist eine stilisierte Papyrusrolle mit dem Modellnamen, im neunten eine Art angefressenes Rechteck, im zwölften Bund so etwas wie ein Propeller, im 15. eine Krone, in der hier - warum auch immer - "Export" steht.
Die Rock Oval ist eine Semiakustik-Gitarre mit einem hohlen Korpus aus Fiberglas, der an den Seiten schmal zuläuft, sodass die Gitarre wie eine Solidbody wirkt. Ein Arrangement von Blau, Rot, Gelb und Schwarz, durchwoben mit goldenem Glitzerstaub, stellt die ungewöhnlich zeitlos erscheinende Lackierung dar. Der Alu-Hals ist auf diesen recht großen Korpus geschraubt, ebenso wie die gewinkelte Kopfplatte seitlich an den Hals geschraubt ist - wie fast immer bei Wandre ein Alurahmen mit einem Centerstück aus Palisander. Die beiden Davoli-Pickups sind in das eckige, "floating" Schlagbrett montiert und die Saiten laufen über einen für die damalige Zeit sehr innovativen Steg, der nicht nur Einstellungsmöglichkeiten für der Saitenhöhe, sondern auch für die Oktavreinheit bietet. Eine besondere Augenweide stellt die Reglereinheit dar, bunte Knöpfe auf einer erhaben montierten, verchromten Ebene. Das Vorhanden einer 6,3mm-Klinkenbuchse deutet darauf hin, dass diese Rock Oval nicht die erste Generation dieses Modells darstellt, sondern die zweite - vermutlich sogar die dritte, die zwar in keinen Unterlagen auftaucht, aber in ihren Features mit den beiden ersten nicht gänzlich übereinstimmt. Die Gitarre war im Katalog mit einem "deep cutaway" beschrieben - was noch moderat ausgedrückt erscheint, denn es ist im Prinzip ja gar kein Cutaway vorhanden, da der untere Body-Teil einfach amputiert und dem Design geopfert wurde. Die Rock Oval wurde von ca. 1960 bis 1966 gebaut.
Trotz ihrer ungewöhnlichen Optik lässt sich die Rock Oval sehr gut spielen - vorausgesetzt, man hat sie umgehängt! Der Hals hat ein kräftiges, leicht V-förmiges Profil, die Saitenlage ist perfekt und der Klang voll, rund und musikalisch.
Wandre weg!
Dennoch werden Wandre-Gitarren äußerst selten auf den Bühnen gesehen, Buddy Miller ist einer der wenigen Prominenten, die Wandres einsetzen. Diese Zurückgezogenheit hat nicht nur damit zu tun, dass diese Gitarren so extrem anders aussehen, sondern auch, dass eben nicht so viele gebaut worden sind. Ca. 35.000 !!! Wandre Pioli hängte das Gitarrengeschäft nämlich Ende der 60er Jahre an den Nagel, gerade bevor die japanische Invasion den Gitarrenmarkt auf den Kopf stellten sollte. Er verkaufte 1970 seine runde Fabrik und stellte sich einem neuen Tätigkeitsbereich: Dem Design und der Herstellung von kunstvoller Leder-Bekleidung. Ende der 80er Jahre konzentrierte sich Wandre dann als Mitglied des Fluxus-Zirkels auf Body Art - einer modernen Art einer Performance, bei der er seinen Körper wie ein Musikinstrument spielte... Gleichzeitig eröffnete er eine Galerie und reiste um die Welt, um Künstler zu treffen und Ausstellungen zu organisieren. Im Alter dann ruhiger geworden, hat er sich wieder in Cavriago niedergelassen - umgeben von eigenen und fremden Kunstwerken. Der Mann, dessen Leben als im wahrsten Sinne des Wortes frei schaffender Künstler als Partisan in den italienischen Bergen begann und ihn über eine Karriere als Maurer, Bauingenieur, Gitarrenbauer, Designer von Leder-Bekleidung zum modernen Performance-Künstler und Gallerie-Besitzer führte, verstarb im Alter von 78 Jahren 2004 in seinem Heimatort. Den Freunden seiner Gitarren bleibt als Andenken natürlich seine Werke als Gitarrenbauer, die aber leider nur ab und zu im Handel auftauchen - und wenn, dann zu hohen Preisen. Die Rock Oval wird von Kennern auf mindestens 10.000 € Sammlerwert geschätzt, unser Vintage-Experte und Wandre-Maniac Scott Freilich aus Buffalo/NY sagte, er hätte schon Rock Ovals für mehr als 15.000 $ angeboten gesehen.
Es bedürfte eines kompletten Buches, um die gesamte Bandbreite des Schaffens von Wandre Pioli abzudecken, ein Buch, auf dessen Erscheinen wohl viele gespannt wären.
Vielen Dank an Mike Christmann, der uns die Wandre Rock Oval zu Verfügung gestellt hat.
Auf einer Kunstausstellung in Paris gab es nebeneinander zwei Bilder in Sachen „französische Revolution“ zu sehen: Einmal ein Kriegsgemälde, in der Mitte eine halb entblößte Symbol-Frau „Marianne“ mit der Revolutionsflagge in der rechten und einem Bajonett in der linken Hand. Und als neuzeitliche Variante das Foto einer sehr attraktiven „Marianne“, ebenfalls halb entblößt und mit der Revolutionsflagge, aber anstatt des Bajonetts eine Wandré Oval vor sich in der Rechten! Wenn das mal kein Zeichen ist!
Ibanez Saber
Ob da wohl die Inspiration hergekommen ist? Und über der Suche nach dieser Gitarre bin ich bei Roadstar-Rolf gelandet. Meiomei, was für ein Typ, damals!
Zuguterletzt einige Gitarren aus meiner Wandré-Kollektion
Und den habe ich gerade gefunden: Adriano Celentano mit Rock Oval
https://www.youtube.com/watch?v=TBj5qMmMxWE&feature=youtu.be